"Schwestern" - Eine OPR Kurzgeschichte

#1 von Simon , 22.08.2023 23:00

Cécilias Atem ging stoßweise. Ihr Körper arbeitete auf Hochtouren. Unter ihrer Haut spannten sich Muskeln und Sehnen bis zum Äußersten. Eine hellbraune Haarsträhne klebte auf der schweißnassen Stirn der Siebzehnjährigen.

********************************************

Sie warf ein leergeschossenes Magazin aus ihrer Waffe aus und steckte ein neues hinein. Die Finger ihrer linken Hand bluteten, doch weder das, noch der Schmerz hielten die Kriegerin davon ab, ihren Karabiner durchzuladen. Mit dem Daumen schaltete sie den Feuerwahlhebel auf Einzelschuss. Dies würde ihr helfen, den Rückstoß trotz ihrer Verwundung auszugleichen.

„Alles gut bei Dir?“

Chloë war neben der jungen Frau in Deckung gegangen. Ihr Brustpanzer war mit einem Dutzend Einschusslöchern übersät, doch keines der kristallinen Projektile hatte ihn durchschlagen. Chloë hatte schon immer Glück gehabt. Selbst im schwersten Feuerkampf auf kürzeste Distanz gelang es ihr stets unversehrt davonzukommen.

„Alles gut bei mir Schwester.“

Cécilia spähte aus dem zerstörten Fensterrahmen hinunter auf die Straße. Sie legte ihre Waffe an, atmete aus, zog den Abzug durch, und war wieder hinter dem Basaltbogen verschwunden, bevor ihr Gegner tot auf dem Boden aufschlug.

„Ich seh‘ schon, Du kommst klar! Möge die ewige Gott-Königin Dich führen, Schwester.“

Chloë sprang auf und eilte die Treppe hinab.

„Möge sie über Dich Wachen.“

Cécilia erwiderte den Standardgruß ihrer Schwester mit der zugehörigen Antwort. Ein Stück Normalität in den Wirren der Schlacht.

Auf der Straße bewegte sich eine feindliche Gruppe in Deckung hinter einem zerstörten Fahrzeug. Cécilias Trupp eröffnete das Feuer und einen Augenblick später lagen die Angreifer im Staub.

********************************************

Ihre Feinde waren Piraten, Sklavenjäger, Leichenschänder und schlimmeres, dafür berüchtigt im ganzen Sektor überraschend aufzutauchen, über die wehrlose Bevölkerung herzufallen und spurlos zu verschwinden, bevor entsprechende Kräfte eintreffen.

Es war absoluter Zufall, dass sich gerade einige Schwestern vom Orden des heiligen Lichts der Gott-Königin in diesem System befanden, als die Piraten zum Angriff auf eine Siedlung übergingen.

Die Sklavenjäger waren von einer höchst fremdartigen Spezies. Ihre Anatomie ähnelte der Menschlichen, wobei sie wesentlich schlanker und auch um einiges größer als diese waren. Cécilia bewunderte die Anmut und Leichtigkeit, mit der sich die Wesen bewegten. Es sah beinahe so aus, als würden sie tanzen. Jedoch war dies auch das einzig schöne an ihnen.
Ihre schimmernden Rüstungsplatten waren übersät mit Stacheln. An ihren Waffen fanden sich grausame Klingen. Überhaupt schienen diese Wesen Gefallen an obszöner Grausamkeit zu empfinden. Vielleicht verschossen sie mit ihren Waffen deshalb zersplitternde Kristalle anstelle von Hartkernmunition.

Wie sie sich selbst bezeichneten, wusste Cécilia nicht. Ihre Mutter Oberin hatte sie Dunkelelfen genannt. Sadistische, verzerrte, fleischgewordene Abbilder uralter Sagengestalten, die sich an Gewalt und Blutvergießen ergötzen.

********************************************

Cécilias Trupp hielt seit einer Stunde die zerstörte Basilika im Südviertel der Stadt. Ganz in der Nähe befand sich der Eingang zu einem Zivilschutzraum. Mindestens dreißig Familien hatten hier Zuflucht gesucht, als die Piraten über die Siedlung hergefallen waren. Fünf Schwestern standen zwischen den wehrlosen Menschen und einer Horde albtraumhafter Monster.

Die Dunkelelfen starteten einen neuen Angriff und rissen Cécilia damit aus ihren Gedanken. Zuerst zischte es, dann prasselte ein Hagel von Kristallgeschossen auf die Ruine ein, in der die Schwestern Position bezogen hatten. Das eindeutige Zeichen eines neuerlichen Sturmangriffs.
Die Dunkelelfenkrieger sprangen grazil über ihre Deckung und entfesselten einen Feuersturm mit ihren Waffen. Neben hunderten scharfkantiger Splitter, schlugen auch Strahlen dunkler Energie in die Säulen und Mauern aus Basalt.
Cécilia presste den Karabiner an ihren Körper und feuerte in die angreifende Menge. Auch unter ihr zuckten Mündungsblitze, als die Waffen ihrer Schwestern den Zorn der unsterblichen Gott-Königin zum Ausdruck brachten.

Der Angriff schien zusammenzubrechen, nachdem Schwester Gabrielles schweres Maschinengewehr donnerte. Dunkelelfenpiraten waren weder für ihre Disziplin, noch ihren Mut bekannt. Dies glichen sie in der Regel durch Hinterlist und Geschwindigkeit aus.

Das Abwehrfeuer ihrer Schwestern ebbte plötzlich ab, nachdem eine silbrige Wolke durch die Fenster geflogen war. Cécilia hatte so etwas noch nie gesehen und war sich nicht im Klaren, welche Art Waffe ein derartiges Projektil verschoss.
Erst hörte sie Schreie, dann plötzliche Stille.

Cécilia unterdrückte die aufkommende Angst in ihrem Herzen. Sie wandte sich um, nahm mehrere zersplitterte Treppenstufen auf einmal, und eilte nach unten, um nach ihren Kameradinnen zu sehen.
Trotz ihrer Jugend hatte Cécilia bereits in einigen Gefechten gekämpft, hatte Verwundete und Tote gesehen, doch auf den Anblick, der nun folgen sollte, war sie nicht vorbereitet gewesen.

Zwei ihrer vier Schwestern lagen, eingewickelt in ein Netz hauchdünner Fäden oder Drähte, am Boden. Dieses fremde Material schnitt scheinbar mühelos durch die schweren Rüstungsplatten der Kriegerinnen. Fleisch und Knochen boten keinen Widerstand.
Gabrielles Körperpanzer war von mehreren Geschossen perforiert worden. Die dunkelrote Lache, die sich unter ihrem zusammengesunkenen Körper ausbreitete, wurde rasch größer.
Voller Entsetzen stolperte Cécilia an ihren sterbenden oder toten Kameradinnen vorbei, versuchte all das Blut, abgetrennte Finger und Hände zu ignorieren. Sie kannte in diesem Moment nur ein Ziel.

Chloë zuckte unkontrolliert, ihr Blick war glasig und sie versuchte etwas zu sagen, doch ihrer Kehle entwich nur ein Glucksen. Einer der dunklen Energiestrahlen hatte sich durch ihre linke Brustplatte geschnitten und war hinter ihrer rechten Achsel wieder ausgetreten. Beide Lungenflügel waren durchbohrt worden. Sie starb, bevor Cécilia bei ihr ankam.

Das Herz der Siebzehnjährigen zerbrach in diesem Augenblick. Stumm fiel sie auf die Knie. Tränen rannen über ihre Ruß verschmierten Wangen. Cécilia schlug mit den Fäusten auf ihre Oberschenkel. Sie wollte schreien, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt und brachte keinen Ton hervor.
Irgendetwas schlug um sie herum ein. Ein dumpfer Schmerz durchzog ihre Hüfte. Sie beugte sich nach vorn, senkte langsam den Kopf, bis sie mit ihrer Stirn die von Chloë berührte. Die junge Frau wollte ihrer Schwester ein letztes Mal in die Augen sehen, doch sie konnte es nicht. Ihre Augenlider blieben geschlossen. Nur ihre Tränen fielen in das leblose Gesicht Chloës.

Cécilia griff nach dem Karabiner ihrer Schwester. Sie konnte sich nicht erinnern, wann und wo sie ihre eigene Waffe hatte fallen lassen. Um aufzustehen musste sie sich auf den Kolben stützen. Ihre Hüfte brannte wie Feuer und Blut rann ihr Bein hinab. All das spielte für sie in diesem Moment keine Rolle.
Die Kriegerin wandte sich um und gab einen Feuerstoß ab. Während sie zu einem großen Brocken Geröll, der einst Teil einer Heiligenstatue gewesen sein musste, humpelte, schickte sie Salve um Salve die Straße hinunter.

Cécilia zielte nicht. Das Donnern des Karabiners sollte ihren Feinden bloß deutlich machen, dass innerhalb dieser Ruinen noch immer eine Schwester am Leben war und sie kein leichtes Spiel mit ihr haben würden.
Nachdem das Magazin von Chloës Waffe leer war, hängte Cécilia sie sich um, dann packte sie das schwere Maschinengewehr von Schwester Gabrielle. Mit Gewalt riss die Kriegerin am Verschluss, lud durch und gab nun gezielte Garben auf ihre Feinde ab.

Mehrere der Dunkelelfen wurden zerrissen. Ihre leichten Rüstungen mochten gut sein um sich schnell und grazil zu bewegen, doch sie boten kaum Schutz vor den schweren Projektilen aus Cécilias Waffe.
Im Herzen der jungen Frau klaffte ein Loch der Trauer. Ein Loch, das sie nun mit unbändigem Hass füllte. Sie kämpfte nicht um ihr Leben, oder um das Leben ihrer Schwestern und schon gar nicht mehr um das unschuldiger Zivilisten, die zu beschützen auf diesem Schlachtfeld eigentlich ihr Auftrag war. Cécilia kämpfte nur noch, um diese Wesen zu vernichten.

Zwei Angreifer waren im toten Winkel der Kriegerin herangeschlichen. Mit der linken Hand griff Cécilia nach einer Handgranate, die Rechte ruhte auf dem Abzug. Ein metallisches Geräusch erklang, als sie den Splint löste und die Granate in hohem Bogen über die Deckung warf. Gedanklich zählte die letzte Schwester des heiligen Lichts rückwärts. Sie gab zwei Salven ab und tötete damit einen weiteren Feind, dann krachte es.
Granatsplitter zerfetzten die schlanken Körper der Piraten. Cécilia nahm davon kaum Notiz. Sie hatte ihren Blick auf einen besonders grausam aussehenden Sklavenjäger fokussiert, der so etwas wie ein Anführer zu sein schien.
Mehrere Vollmantelgeschosse fanden ihr Ziel. In einer Fontäne dunkelroten Blutes ging der Dunkelelf zu Boden. Mit der letzten Munition im Magazin, gab Cécilia Sperrfeuer auf eine Gruppe dieser Ungeheuer ab.

Das sperrige Maschinengewehr ließ die junge Frau zurück, als sie sich tiefer in die Ruine zurückzog. Aus ihrem humpelnden Gang wurde immer mehr ein Schleppen. Jeder Schritt fiel ihr schwerer als der vorherige. Chloës Karabiner schlug immer wieder gegen ihre Seite.
Cécilia löste den Knopf ihres Pistolenholsters und zog die Waffe heraus. Sie ließ sich schwer zwischen zwei Kirchenbänke fallen. Dass diese keine ausreichende Deckung boten, war ihr bewusst, doch sie konnte keinen Schritt mehr weiter gehen.
Ihre Faust umklammerte zitternd den Griff ihrer Waffe, während sie auf den Durchgang zielte, den ihre Feinde nehmen mussten, wenn sie sie holen kamen.

Die Konzentration der Ordensschwester ließ nach und ihr Blick verschwamm immer mehr. Grob feuerte sie auf die erste Gestalt, die sie im Halbdunkel wahrnahm. Vor ihr schlug etwas ins Holz und ein Splitter, der herausgesprengt wurde, bohrte sich in Cécilias rechte Wange.

„Kommt und holt mich, ihr Bastarde!“

Cécilia schrie, so laut sie konnte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sich selbst beweisen zu müssen, dass sie noch am Leben war. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Sie wusste, dass sie hier sterben würde. Der Blutverlust war bereits zu groß und aus eigener Kraft würde sie diese Stellung nicht mehr verlassen können.

Draußen donnerten automatische Waffen. Befehle wurden gebellt. Am Rande ihrer Wahrnehmung lösten sich Schatten aus der Dunkelheit, bevor Cécilia endgültig das Bewusstsein verlor.

********************************************

Die junge Frau riss die Augen auf. Vollkommen verschwitzt lag sie auf ihrer Pritsche. Es dauerte mehrere Minuten, bis sich ihr Herzschlag wieder einigermaßen beruhigte. Immerhin hatte sie nicht geschrien, wie anfangs beinahe jede Nacht.

Erschöpft setzte sie sich auf. Ihr Blick fiel auf das Bettlaken, das sie im Traum von sich getreten hatte. Sie tat einen tiefen Atemzug, bevor ihre nackten Füße den kalten Steinboden berührten.
Mit wenigen Schritten durchquerte sie ihre Zelle, öffnete die Tür und trat hinaus auf den spärlich beleuchteten Gang.

Nur mit dem Büßergewand bekleidet, das die Schwestern innerhalb ihres Konvents trugen, streifte sie durch die nächtlichen Klostermauern.
Inzwischen hätte sie den Weg zur Kapelle blind gefunden, war sie ihn doch in den letzten Monaten jede Nacht gegangen.
Ihre Schritte führten Cécilia vor eine blank polierte Wand, die über und über mit eingravierten Namen versehen war. Gegenüber dieser Wand stand, im Licht hunderter flackernder Kerzen, eine goldene Statue der ewigen Gott-Königin. Deren Blick ruhte auf den Namen all jener verstorbener Schwestern, die in ihrem Dienste ihr Leben gelassen hatten.

Cécilia legte die Stirn auf Chloës Namen und weinte. Die Schwestern vom heiligen Licht der Gott-Königin hatten an diesem Tag über die Dunkelelfen gesiegt. Hunderte Siedler wurden vor einem grausamen Schicksal bewahrt. Cécilia wurde von ihren Klosterschwestern in der Ruine der Basilika entdeckt und gerettet.
Jedoch war an jenem Tag etwas in ihr gestorben.


Simon  
Simon
Beiträge: 19
Registriert am: 01.06.2023


   


Xobor Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen
Datenschutz